Nach so vielen Abschiedsmomenten in Deutschland war es schön, nach der langen Anreise in Freetown so herzlich und von so vielen willkommen geheißen zu werden. Die erste Woche war unglaublich turbulent und erlebnisreich. Von ein paar Eindrücke und vor allem einem persönlichen Erlebnis möchte ich euch heute berichten.
Leider hatte ich bisher nicht viel Zeit, mich länger mit meinem Team von Salone Dreams auszutauschen oder unsere Schule in Yam's Farm zu besuchen, denn mein Arbeitgeber World Hope hat (für sierra leonische Verhältnisse) ein strammes Programm für mich aufgestellt und eine Eingewöhnungszeit war darin nicht geplant. Am Sonntagabend bin ich angekommen, schon am Montag hatte ich meinen ersten Außentermin und ähnlich getaktet ging es an den anderen Tagen weiter. Hinzu kommt, dass mein Bewegungsfreiraum wegen der Ebolaepidemie zur Zeit eingeschränkt ist. Bei meinen früheren Aufenthalten bin ich viel alleine und selbstständig durch die Gegend gezogen, war mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und bin auch oft erst nach Einbruch der Dunkelheit zur Unterkunft zurückgekehrt.
Das ist jetzt anders. In den letzten Tagen wurde ich morgens von einem World Hope Fahrzeug abgeholt, zum Büro und zu Terminen gebracht und abends wieder bei der Unterkunft abgesetzt. Um 18 Uhr müssen alle Geschäfte, Märkte, Restaurants etc geschlossen sein, sodass es kaum Gelegenheiten gibt, sich abends anderweitig aufzuhalten. Zur Zeit ist es für mich so die wahrscheinlich sicherste und beste Möglichkeit, mich an die Situation unter dem Ebolaausbruch zu gewöhnen und sie einzuschätzen zu lernen.
Auch wenn der Ebolaausbruch aus den europäischen Medien weitgehend verschwunden ist – vorüber ist er noch nicht. Der Vizepräsident ist unter Quarantäne und erst in der vorletzten Woche gab es wieder einen neuen Ausbruch in einem Dorf, das nur 20 km von meinem jetzigen Aufenthaltsort Makeni entfernt ist. Einem Mann aus Freetown, der unter Quarantäne stand, ging es nicht gut und deshalb kehrte er heimlich in sein Heimatdorf Rosanda zurück, um sich dort von einem traditionellen Heiler behandeln zu lassen. Zwei Tage nach seiner Ankunft verstarb er, es stellte sich heraus, dass er Ebola gehabt hatte. Leider informierten die Dorfbewohner erst viel zu spät die Gesundheitsbehörde und so ist die traurige Bilanz von Samstagabend: 53 Ansteckungen, darunter schon einige Tote und das ganze Dorf mit seinen 1000 Einwohnern steht unter Quarantäne.
Da World Hope mit einem Notfallteam schon während des gesamten Ausbruchs in der Bekämpfung der Epidemie aktiv ist, durfte ich einige der Maßnahmen begleiten. Ich bin sehr beeindruckt, wie schnell, strukturiert und professionell die sierra leonischen Behörden und die NGOs zusammenarbeiten. Innerhalb weniger Tage wurde das ganze Dorf abgesperrt und wird nun dauerhaft bewacht, sodass niemand es verlassen kann; es wurden alle direkten Kontakte zu den Toten und Kranken zurückverfolgt und die Kontaktpersonen stehen unter besonderer Beobachtung; sobald es einen neuen bestätigten Fall gibt, wird dieser sofort ausgefahren und das Haus desjenigen professionell gereinigt und dekontaminiert; es wurde eine mobile Klinik mit sieben Pflegern für Verdachtsfälle aufgebaut, die dank Wasserfässern und Generator Strom- und Wasserzugang hat; alle Haushalt werden dreimal pro Tag mit Essen und frischem Wasser versorgt und der Gesundheitszustand aller Dorfbewohner wird mehrmals täglich kontrolliert; einmal pro Tag gibt es ein Meeting im Bürgersaal von Makeni, der jetzt das Krisenzentrum ist, wo Updates vorgetragen und Aufgaben verteilt werden (diese Meetings beginnen IMMER pünktlich und man darf nicht mehr eintreten, wenn man zu spät kommt).
Vor allem vor den sierra leonischen Helfern ziehe ich meinen Hut. Man sieht ihnen an, dass sie die letzten Monate fast ununterbrochen gearbeitet haben, kaum einer hatte seit Oktober einen freien Tag, doch alle sind sich der Dringlichkeit der Situation bewusst und arbeiten unermüdlich weiter. Einige leiden zudem darunter, dass ihre Familien sie aus Angst vor einer Ansteckung verstoßen haben. Man könnte denken, dass die Stimmung in den Teams unter der hohen Belastung sehr angespannt sein müsste – doch dem ist erstaunlicherweise nicht so. Die Teams, die ich bisher bei der Arbeit beobachtet habe, waren alle konstruktiv entspannt, freundlich, offen und hilfsbereit zueinander.
Am Samstagmorgen hatte ich ein Schlüsselerlebnis, leider kein schönes. Um 8 Uhr nahm ich mit Carrie, einer Krankenschwester von World Hope an einem Briefing im Bürgersaal teil, danach wollten wie die Krankenpfleger, die nach Rosanda sollen, einsammeln und ins Dorf bringen. Im Briefing sitzend bekam ich plötzlich starke Bauchschmerzen und ich musste unbedingt den Raum verlassen. Beim Aufstehen wurde mir dann auch noch schwindelig und ich merkte, dass ich mich sofort hinsetzen musste, sonst würde ich das Bewusstsein verlieren. Im Nu merkten alle, dass es mir nicht gut ging, aber keiner wollte mir helfen oder in meine Nähe kommen. Verständlicherweise und es war in jedem Fall die richtige Reaktion, doch für mich war es in dem Augenblick ein schreckliches Gefühl, dass niemand mir auch nur eine Stuhl hinschieben wollte. Ich kann jetzt ansatzweise verstehen, wie es vielen Ebolapatienten, anderen Kranken und auch Überlebenden geht, denen sich aus Angst niemand nähern will.
Carrie war in dem Augenblick gerade nicht da, aber ich ließ sie rufen. Sie wusste (im Gegensatz zu den anderen), dass ich erst gerade ins Land gekommen war und in dieser Zeit nie Kontakt und vor allem keinen Körperkontakt mit Kranken gehabt hatte. Es war also praktisch unmöglich, dass ich Ebola hätte. Als sie mich auch noch ohne Handschuhe am Arm anfasste, gab es einen Aufschrei und am liebsten hätten die Anwesenden uns beide direkt ins Krankenhaus und in Quarantäne geschickt. „Unter der aktuellen Situation sollte man besser nicht krank werden – egal, was es ist, jeder denkt sofort an Ebola“, hatte Carrie erst kurz vorher gesagt. Sie hat dann gegen alle Regeln verstoßen, indem sie mich in einem Privatfahrzeug und in Begleitung eines anderen Pflegers, der mich auch angefasst hat, nach Hause fahren ließ. Mittlerweile geht es mir wieder gut, ich bin nur noch ein bisschen schlapp und der Magen rebelliert noch. Wahrscheinlich war der Vorfall eine Kombination aus verschiedenen Dingen (Gewöhnung an das Klima, Magenverstimmung, Flüssigkeits- und Schlafmangel).
Schwestern und der Arzt von World Hope sehen regelmäßig seit Samstag nach mir und ich fühle mich hier gut und sicher aufgehoben. Das Notfallteam von World Hope ist erfahren und arbeitet schon seit Anfang des Ausbruchs „an der Front“, bisher hat sich noch niemand von ihnen angesteckt. Insgesamt ist die Ansteckungsrate unter den Helfern deutlich zurückgegangen und die hohen Fallzahlen sind fast ausschließlich auf die Teilnahme an Beerdigungen oder die Pflege von Kranken und Toten ohne Schutzanzug zurückzuführen. Mir ist es ein Rätsel, warum ein Teil der Bürger sich immer noch nicht an die grundlegenden Regeln hält und so verantwortungslos auch mit dem Leben anderer umgeht. Wenn man sich regelmäßig die Hände wäscht und sie danach desinfiziert, jede Art von Körperkontakt vermeidet, kann man sich fast nicht anstecken. Außerhalb von Körperflüssigkeiten ist das Virus auch kaum überlebensfähig, vor allem an der Sonne trocknet es schnell aus. Wir alle hoffen nun, dass die neuen Fälle die geplante Eröffnung der Schulen und Unis nicht gefährden.
Damit dieser Newsletter positiv endet: Mein neues Heim ist sehr schön, ich habe ein eigenes Bad zu meinem Zimmer und in Makeni gibt es für alle rund um die Uhr Strom. Wir haben einen Garten mit zwei Mangobäumen, die in zwei Monaten reif sein werden, und einen eigenen Brunnen und somit auch immer Wasser. Purer Luxus! Ich habe viele nette, hilfsbereite Kollegen und auf meinen Terminen konnte ich schon mit einigen interessanten Personen sprechen.
Mit sonnigen Grüßen aus Makeni,
Hanna