am letzten Wochenende gab es in Sierra Leone wieder eine dreitägige Ausgangssperre, von Freitagmorgen bis Sonntagabend durfte keiner sein Haus verlassen, um Ebola den Kampf anzusagen. Die Fallzahlen von Ebolainfektionen sind zwar nicht signifikant angestiegen, aber auch nicht gesunken und es ist besorgniserregend, dass Distrikte, die schon mehrere Wochen ohne neue Fälle waren, wieder Infektionen verzeichnen. Deshalb hat der Präsident die Ausgangssperre veranlasst und wie schon im letzten Jahr wurden im ganzen Land Hausbesuche durchgeführt, um kranke Menschen zu identifizieren und um die Bürger zum wiederholten Mal auf die Gefahren und den Infektionsweg des Virus hinzuweisen.
Ich bezweifle den Erfolg und die Sinnhaftigkeit der Aktion, denn mittlerweile wissen selbst die abgelegensten Dörfer bestens über Ebola Bescheid und wer sich immer noch nicht an die Verhaltensregeln hält, der will es nicht wissen oder wahrhaben. Drei Tage „Sit at home and reflect about Ebola“ waren für den Großteil der Bevölkerung daher keine Motivation, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, denn schließlich dreht sich das Leben seit nun fast einem Jahr nur um diese Krankheit und die Ausgangssperren stellten viele vor existentielle Probleme. Wie soll man sich Vorräte für mehrere Tage beschaffen, wenn man morgens noch nicht weiß, ob man abends etwas zu essen haben wird? Außerdem gab es große organisatorische Mängel, es wurden bei Weitem nicht alle Sierra Leoner besucht und aufgeklärt. Doch die Regierung hat heute Morgen verkündet, die Aktion sei ein großer Erfolg gewesen – wie der Erfolg gemessen wurde, wurde nicht bekannt gegeben.
Für mich waren es drei intensive Tage, denn mein Arbeitgeber World Hope ist in der Versorgung von Quarantänehäusern und beim Transport von Kranken involviert, daher habe ich für die Tage der Ausgangssperre eine Freistellung bekommen und durfte mit verschiedenen Teams unterwegs sein.
In Deutschland und anderen Ländern außerhalb Westafrikas ist die Epidemie fast gänzlich aus dem Sichtfeld gerückt und noch vor ein paar Wochen war auch für mich das Ausmaß nicht so spürbar. Hier beeinflusst sie das Leben aller und sie wird die Zukunft vieler Betroffener prägen – das habe ich in den drei Tagen Ausgangssperre erlebt. Hier ein paar gesammelte Zitate und Eindrücke:
„Was ich als erstes gemacht habe, nachdem die Quarantäne aufgehoben wurde? Ich weiß es nicht mehr, nichts Besonderes. Es war keine Befreiung, kein Gefühl der Freude. In unserem Haus sind fast alle Frauen verstorben, meine Mutter, meine Frau, Schwestern. Wir müssen jetzt versuchen, einen Weg zu finden, damit zu leben.“
Ein junger Mann im Dorf Rosanda, der vor wenigen Tagen aus der Quarantäne entlassen wurde.
„Ein Bekannter hat uns besucht und verstarb kurz darauf an Ebola. Er hat uns verschwiegen, dass es ihm nicht gut ging, erst als wir als Risikokontakte unter Quarantäne gestellt wurden, haben wir davon erfahren. Ich bin sehr sauer auf ihn, es war unverantwortlich von ihm, die Gesundheit meiner Familie und die von anderen, die er auch noch besucht hat, aufs Spiel zu setzen. In der Quarantänezeit sind wir vollkommen abhängig und auf Hilfe von außen angewiesen. Seit 19 Tagen wiederholen wir immer wieder, dass wir Zusatznahrung für unseren Säugling brauchen. Die Muttermilch reicht nicht aus und das Baby hat ständig Hunger. Bis jetzt hat sich niemand darum gekümmert.“ (Anmerkung: Ich habe mich mittlerweile darum gekümmert.)
Ein Mann in einem Quarantänehaushalt in Makeni
„Ich will nicht nach Hause zurück!“
Ein weinender Junge, der aus dem Quarantänezentrum für Kinder entlassen wird, weiß nicht, was ihn zu Hause erwartet, denn beide Elternteile sind der Viruskrankheit in der Zwischenzeit erlegen. Er und seine kleine Schwester haben überlebt. Der 12-jährige weiß, dass er nun für sich und seine Schwester die Verantwortung trägt.
„Meiner sechsjährigen Tochter ging es seit Mitte der Woche nicht so gut, am Freitag und Samstag wurde es immer schlimmer. Ich habe mich nicht an die Ausgangssperre gehalten und habe mich zu Fuß auf den Weg zum nächsten Krankenhaus gemacht, weil keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren. Ich habe das Krankenhaus nicht mehr erreicht, sie ist vor einer Stunde gestorben. Jetzt trage ich mein totes Kind nach Hause.“
Eine Begegnung am Wegrand. Der Mann weinte, mein Kollege hat die Notfallnummer gerufen, falls das Kind Ebola hatte.
„Sie hat keinen Namen. Nennen wir sie Carrie Jo, weil du sie gebracht hast.“
Carrie Jo ist meine Kollegin und Mitbewohnerin, Little Carrie Jo ist zwei Wochen alt. Ihre Mutter und ihre Zwillingsschwester sind bei der Geburt des zweiten Kindes gestorben. Die Mutter kam aus dem Dorf Rosanda, wo es vor Kurzem einen Ebolaausbruch gab. Die Mutter begab sich ins Krankenhaus in Makeni als die Wehen begannen. Sie war nie ein Risikokontakt gewesen und wurde als eine der ersten aus der Quarantäne entlassen, auch zum Zeitpunkt der Geburt war sie nicht krank. Doch allein der Name des Dorfes steht nun für Ebola und sorgte für Panik unter den Pflegern. Keiner war bereit, der Frau Geburtshilfe zu leisten. Carrie Jo kam problemlos zu Welt, das zweite Kind nicht. Man hätte beide retten können, wenn jemand sich getraut hätte, sie anzufassen – das hat man nach ihrem Tod festegestellt. Der Vater kann sich keine Babynahrung leisten und nicht für die Kleine sorgen, am Wochenende hat er sie abgegeben, damit sie vorerst in einem Waisenhaus bleibt.
„Verliere ich noch ein Schuljahr, wenn ich als Quarantänepatientin nicht zur Prüfung zugelassen werde?“
Eine Schülerin der Oberstufe soll in dieser Woche die Prüfungen ablegen, die im letzten Jahr nicht mehr abgenommen wurden. Sie steht jedoch noch eine Woche unter Quarantäne und ist somit nicht zur Prüfung zugelassen. Mittlerweile steht fest, dass es einen Ausweichtermin für Schülerinnen und Schüler gibt, die zum Prüfungstermin unter Quarantäne standen.
Noch mehr zu lesen gibt es auf meinem Blog:
Der Fall Rosanda: Der lange Weg zu null Ebolafällen
Und auf Salone Dreams:
Mein Besuch im Kinder-Quarantänezentrum – was mit euren Spenden passiert
Mit warmen Grüßen,
Hanna