Newsletter Nr. 27





Liebe/r Leser/in,

heute möchte ich dich (mal wieder) auf eine Reise in das Leben in Sierra Leone mitnehmen.

Stell dir vor du verspürst eines Abends Bauchschmerzen im Unterleib, stark rechtsseitig. Dass es eine Blinddarmentzündung sein könnte, ahnst du nicht, weil du außer den Symptomen für Magenverstimmungen, Malaria, Typhus, Cholera und Erkältungen keine anderen Krankheiten kennst und dich auch nie näher damit beschäftigen konntest, weil du in den wenigen Jahren, in denen du die überfüllte Dorfschule besucht hast, nie ein einziges Schulbuch in den Händen hieltest und außer rudimentärem Lesen, Schreiben und Rechnen nichts gelernt hast. Jetzt bist du erwachsen, ein Buch hast du dir nie geleistet und ein Smartphone, mit dem du mal eben deine Symptome googlen könntest, besitzt du auch nicht. Du schickst jemanden zur Apotheke, der dir Schmerzmedikamente kaufen soll. Doch die Schmerzen werden trotz Medikation stärker. Jemand ruft einen Krankenpfleger an, der neben seinem Job im Krankenhaus auch immer wieder privat Menschen behandelt. Bisher ist noch niemand unter seiner Pflege gestorben, das wertest du als ein positives Zeichen. Du weißt, dass er im Krankenhaus immer wieder Medikamente und medizinisches Material mitgehen lässt und es dann unter der Hand an seine Patienten verkauft – leicht günstiger als im Krankenhaus. Er sagt dir, es würde vorbeigehen, du solltest nur abwarten, spritzt dir ein Schmerzmedikament und gibt dir ein Antibiotikum. Es ist das gleiche Antibiotikum, das du ständig nimmst - wenn du eine Erkältung hast, wenn deine Arme schmerzen, manchmal sogar prophylaktisch. Dass man Resistenzen gegen Antibiotika entwickelt, weißt du nicht, weil du seine Funktionsweise und seine Wirkung nicht kennst. Doch es wird nicht besser. Die Schmerzen haben sich nun auf den gesamten Bauchraum ausgedehnt und du kannst es kaum aushalten. In deiner Verzweiflung rufst du eine amerikanische Krankenschwester an und bittest sie zu kommen. Von ihr hörst du zum ersten Mal das Wort Blinddarmentzündung und sie besteht darauf, dass du sofort ins Krankenhaus müsstest, höchstwahrscheinlich sogar eine OP bräuchtest. Du hast schon viele Geschichten gehört von Menschen, die bei Operationen gestorben sind. Du hast Angst. Im Krankenhaus bestätigt ein Arzt die Vermutung der Krankenschwester, der entzündete Wurmfortsatz sei sogar schon durchbrochen und es müsse unbedingt operiert werden. Er sei aber kein Chirurg und ohnehin hätten sie kein Narkotikum da. Die Krankenschwester fährt mit dir zum nächsten Krankenhaus, dort haben sie Narkosemittel und einen Chirurg in Ausbildung, der sich zutraut, die OP zu machen. Die Operation und die Nachbetreuung würde 300 € kosten, wird dir mitgeteilt. Ohne eine Anzahlung und die Zusicherung, dass die ganze Summe bezahlt würde, kämst du nicht unters Messer. Du verdienst nicht einmal 80 € pro Monat, Ersparnisse hast du nicht und das Geld für diesen Monat ist schon komplett verplant. Die Amerikanerin kennt den Arzt und versichert, dass sie mit ihrem Namen dafür einstehen würde, dass alles bezahlt würde. Dann geht alles ganz schnell und als du wenige Stunden später aufwachst, hast du zwar noch Schmerzen, aber du fühlst dich besser und von nun geht es wieder bergauf...

Diese Geschichte hat sich in der letzten Woche zugetragen und die Person, aus dessen Perspektive ich die Geschichte erzählt habe, ist einer unserer Hausangestellten in Makeni. Für ihn hat die Geschichte ein gutes Ende. Auch wenn ich eine solche Geschichte nicht zum ersten Mal mitbekomme (und leider haben davon einige nicht gut geendet), schockiert es mich doch jedes Mal und reißt mich aus meinem Alltag - weil das Gesundheitssystem so gebrochen ist und lebenswichtige Behandlungen großen Teilen der Bevölkerung vorenthalten bleiben, da sie zu weit entfernt von einer Gesundheitsstation sind, eine falsche Diagnose gestellt wird durch die vielen nicht gut ausgebildeten Pfleger und Ärzte, es an Medikamenten, Equipment und/oder Ärzten fehlt, die notwendige Behandlungen durchführen können oder ganz profan, weil dem Patienten die nötige Geldmenge fehlt, um die Behandlung bezahlen zu können. Mir ist es selbst auch schon einmal passiert, dass ich krank war und zu wenig Geld ins Krankenhaus mitnahm. Den Bluttest und den Arztbesuch konnte ich noch bezahlen, aber die Behandlung wurde mir verweigert. Ich musste dann nach Hause fahren, erneut Geld holen und wurde dann endlich behandelt. Ich bin so dankbar für das Wissen, dass ich immer genug Geld aufbringen könnte für eine Behandlung und dass ich gut ausgebildete, meist ausländische Ärzte hier kenne. Aber wie ungerecht das Leben doch ist und wie viele Menschen - nicht nur in Sierra Leone - dieses Privileg nicht haben!

Für alle die Leute, die wir durch Salone Dreams unterstützen, haben wir einen Fond angelegt, in dem immer genug Geld ist, dass wir für Operationen oder andere Behandlungen schnell einspringen können und selbstverständlich werde ich auch für einen Teil der Behandlungskosten unseres Angestellten aufkommen.

In einer meiner letzten Emails über die Patenschaften für Ebolawaisen habe ich mich etwas missverständlich ausgedrückt – für die Kinder, deren Schicksale ich geschildert habe, haben sich Paten gefunden, aber ich kenne noch einige andere, denen es ähnlich geht und die sehr dankbar für eine Patenschaft wären. Zum Beispiel Rugiatu, die als einzige in ihrer Familie volljährig ist und noch fünf jüngere Geschwister hat. Beide Eltern sind während der Ebolaepidemie verstorben und nun liegt die gesamte Last auf ihren Schultern. Sie hat nie eine Schule besucht und hat auch keinen Beruf erlernt; dreimal pro Woche fährt sie in ein Dorf und kauft dort Obst zu günstigen Preisen, das sie dann leicht teurer wieder verkauft, doch die Gewinnspanne ist nicht hoch und reicht bei Weitem nicht aus, sie und ihre Geschwister zu versorgen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass sie in diesem Monat den Raum in einem Haus, den sie bisher umsonst bewohnen konnten, verlassen müssen, weil das Haus abgerissen wird. Für ihre Unterkunft habe ich mich schon um eine Lösung gekümmert, die sechs Geschwister können in ein kleines Haus auf dem Grundstück unseres Mitarbeiters George ziehen, doch ist damit noch nicht die langfristige Versorgung sichergestellt. Neben Nahrung und Kleidung sollen die fünf Minderjährigen weiter zur Schule gehen. Wenn du gerne für eins der Kinder eine Patenschaft übernehmen willst oder weitere Fragen zu der Familie hast, antworte auf diese Mail!

Eine gesunde Woche wünscht Hanna

P.S. Konkrete Infos zu unseren Projektplänen für 2016 gibt es in der nächsten Email! Die Spendenbescheinigungen haben wir fertig gemacht, sie sollten bald im Briefkasten zu finden sein.