Newsletter Nr. 33





Liebe Leser,

Erinnert ihr euch noch, als Die Grünen den Benzinpreis auf 5 DM anheben wollten, um den Abgasausstoß zu senken?

Ich war damals 10 Jahre alt und obwohl ich mich damals noch herzlich wenig für Geld interessierte, bekam ich doch mit, dass dieser Preisanstieg enorm war und viel verändern würde. Der Preis hätte sich nicht auf einmal verdreifacht, sondern über einen Zeitraum von mehreren Jahren, doch Die Grünen sind mit ihrem Vorschlag nicht durchgekommen.

Einen ähnlichen Vorschlag gab es vor zwei Wochen in Sierra Leone – aber nicht um das Verkehrsaufkommen zu senken oder die Umwelt zu schonen. Nein, die Regierung behauptet, sie habe Benzin bislang subventioniert und damit fehlten jährlich 57 Millionen US-Dollar in der Haushaltskasse, außerdem habe der Schmuggel mit Benzin in die Nachbarländer Liberia und Guinea, wo das Benzin teurer ist, deutlich zugenommen. Kurzum wurden die Preise in der letzten Woche verdoppelt auf umgerechnet 1 US-Dollar pro Liter.

Als ich das las, schaltete sich augenblicklich mein Kopfkino ein. Denn Sierra Leone ist sehr von dem fossilen Brennstoff abhängig. Neben den Fahrzeugen werden Generatoren zur Überbrückung, wenn die Stromversorgung wie so häufig nicht funktioniert, oder dauerhaft in den Landesteilen, die noch nicht ans Netz angeschlossen sind, betrieben, um Krankenhäuser, Büros, Geschäfte, Universitäten und vielen anderen Einrichtungen am Laufen zu halten. Wenn die Benzinpreise sich verdoppeln, werden neben Lebensmitteln auch die gesundheitliche Versorgung, Studien- und Schulgebühren und die Preise anderer Waren ansteigen. Mit Sicherheit wäre es gut, auch in Sierra Leone eine Energiewende anzuvisieren, doch wird man sie mit diesem drastischen Schritt auch kaum vorantreiben. Die Regierung sagt, sie beuge sich mit dieser Maßnahme internationalem Druck und müsse Einsparungen im Haushalt vornehmen. Doch wie soll die ohnehin gebeutelte und arme Bevölkerung das ausbalancieren können?

Schon in den letzten zwei Monaten bemerkten viele meiner Freunde und Bekannte besorgt, dass die Lebensmittelpreise angestiegen seien. Dadurch ist die Stimmung im Land angespannter als sie es noch vor ein paar Monaten war, es gibt deutlich mehr Raubüberfälle und Einbrüche als sonst. Auch dagegen will die Regierung nun vorgehen und hat angekündigt, die seit Ende des Krieges nicht mehr angewandte, aber immer noch in der Gesetzgebung verankerte Todesstrafe wieder einzuführen – zur Abschreckung. Ich finde das sehr problematisch, denn die Strafverfolgungsbehörden in Sierra Leone funktionieren einfach nicht. Die bei uns üblichen Beweisaufnahmen und Tatortssicherungen sind nicht bekannt oder werden nicht angewandt und das Risiko ist groß, dass Unschuldige verurteilt werden.

Meine frühere Mitbewohnerin Anna wurde zum Beispiel vor etwa zwei Wochen von zwei jungen Männern am Nachmittag überfallen, sie waren auf ihren Rucksack aus und schlugen sie von hinten nieder. Sie brach sich keine Knochen, ist aber ziemlich angeschlagen und neben der Spur. Obwohl Anna keines der Gesichter der Angreifer sah und auch die beiden Zeugen nur aus mehr als 100m Entfernung den Vorfall sahen, konnte die Polizei schon nach zwei Tagen einen Verdächtigen präsentieren und es gab schon die erste Gerichtsverhandlung. Außer groben Aussagen, dass die Statur und das Alter passen könnten, gibt es keinerlei Beweise, doch schon in der nächsten Woche soll das Urteil gesprochen werden. Der Angeklagte wird nicht zum Tode verurteilt werden, aber zu einigen Jahren Gefängnis wird er mit Sicherheit verurteilt, wenn das Gericht gegen ihn entscheidet. Ich habe schon einige solcher Verfahren mitbekommen – bisher wurden die Angeklagten trotz der dürftigen Beweislage immer verurteilt.

Ich bin beunruhigt über diese neusten Veränderungen, weil sie genügend Zündstoff für soziale Unruhen bieten. Es wurden landesweite Demonstrationen gegen den Anstieg der Benzinpreise in dieser Woche angekündigt, ich hoffe sehr, dass sie friedlich bleiben und die Regierung eine Möglichkeit findet, die Preisanstiege auszugleichen und beispielsweise die Hauptnahrungsmittel subventioniert oder stabil hält.


An dieser Stelle möchte ich euch viele „Dankeschöns“ weitergeben, die mir immer wieder am Telefon oder per WhatsApp übermittelt werden. Die Waisen und ihre neuen Familien, die beiden Schulen in Yam’s Farm und Kissy Town und andere Patenschaften sind sehr dankbar für die kontinuierliche Unterstützung, die ihnen viele Sorgen nimmt, vor allem in Anbetracht der sich erschwerenden Umstände.

Zum Schluss: Einige der Waisen, die im letzten Jahr von einigen von euch adoptiert wurden, sind sehr smart und wenn sie auf eine bessere Schule (mit höheren Schulgebühren) gehen könnten, würden ihnen hoffentlich besser Zukunftschancen offenstehen. Möchtet ihr euch daran beteiligen oder kennt ihr jemanden, der die Schulbildung eines Kindes mitfördern möchte?

Schreibt mir gerne, wenn ihr nähere Informationen möchtet.

Mit vielen Grüßen aus dem sommerlichen Süden,
Hanna

P.S. ein kleines “Highlight": in dieser Woche wurde die erste Verkehrsampel des Landes in der Hauptstadt Freetown angeschaltet! Alle Verkehrsteilnehmer müssen nun lernen, bei rot anzuhalten. Mal schauen, wie zuverlässig die Ampel mit Strom versorgt wird...