Newsletter Nr. 38





Liebe Salone-Dreams-Newsletter-Leser,

Sierra Leone hat vor einer Woche gewählt – leider steht noch nicht fest, wer der neue Präsident wird, denn ein Kandidat muss 55 % aller Stimmen erhalten, um Kopf des Staates zu werden. Da keiner der Kandidaten die erforderte Anzahl der Stimmen erhielt, wird es in zwei Wochen eine Stichwahl zwischen den beiden größten Parteien, der Sierra Leone People´s Party (SLPP) und der All People´s Congress (APC) geben.

Mit viel Spannung habe ich die letzten Wochen verfolgt, denn so doch eher „langweilig“ wie bei uns geht der Wahlkampf in Sierra Leone nicht von statten. Zunächst aber: ich bin sehr positiv beeindruckt, wie friedlich und organisiert die letzten Wochen verliefen.

Was stand auf dem Spiel, was hätte schiefgehen können?

Laut der sierra-leonischen Verfassung darf ein Präsident nur zwei Amtszeiten und somit maximal 10 Jahre im Amt bleiben. Der noch amtierende Präsident Ernest B. Koroma hat inzwischen zwei Amtszeiten gedient, doch laut hartnäckigen Gerüchten aus hohen Kreisen zog er es in Erwägung, die Verfassung zu ändern, um noch weiter an der Macht zu bleiben. Zum Glück tat er es nicht – denn dies hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Widerstand unter der Bevölkerung geführt.

Während der letzten Wahlen 2012 war ich als Beobachterin im Land. Damals waren es die ersten Wahlen, die Sierra Leone nach Ende des Bürgerkriegs selbst organisiert und durchgeführt hatte – und es gab so einige Pannen: an mehreren Wahlstationen fehlten Wahlzettel und Bürger die wählen wollten, konnte ihre Stimme nicht abgegeben; aus Sicherheitsgründen wurde ein Fahrverbot für alle Fahrzeuge verhängt, doch damit hatten viele ältere und gehbehinderte Menschen keinerlei Möglichkeit, zu ihrer Wahlstation zu kommen und die Möglichkeit einer Briefwahl gab es nicht; auch Wahlzettel für Blinde wurden komplett vergessen und es gab Gerüchte, dass viele falsche Wahlzettel im Spiel waren, um das Ergebnis zu manipulieren. 2012 gab es am Wahltag an einigen Wahllokalen Proteste, teils gewalttätig, und die Stimmung im Land war sehr angespannt. Bei den diesjährigen Wahlen gab es Transportfahrzeuge für Menschen mit einer Gehbehinderung und es wurde auf mehr Transparenz bei den Auszählungen geachtet; eine zweite Kommission zählt momentan das Ergebnis gegen bevor das Resultat veröffentlicht wird.

Für die Sierra Leoner sind Wahlen ein Privileg, eine der wenigen Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, und so erhielt ich schon in den frühen Morgenstunden Fotos von meinen Freunden, die mit vielen anderen seit 3 oder 4 Uhr morgens an ihren Wahlstationen darauf warteten, endlich ab 7 Uhr wählen zu können! Man brachte Snacks und Essen mit und ich musste an diesem Tag oft amüsiert lächeln – der Wahltag hörte sich wie ein großes Familienpicknick an. Gerüchte zu Korruption und Manipulationen gab es natürlich auch wieder – aber es blieb alles friedlich.

Warum schwarz-weiß die beste (Kleider-) Wahl während der Wahlen ist

Die SPD ist rot, die Grünen sind grün – auch in Sierra Leone hat jede der 16 Parteien ihre Farbe. Wegen der hohen Analphabetenrate haben diese jedoch eine deutlich höhere Bedeutung – sie sind das Hauptidentifizierungsmerkmal für die Menschen und jeder, der eine der designierten Farben trägt, wird automatisch der jeweiligen Partei zugeordnet. Dies musste ich bei den letzten Wahlen lernen und mir einige neue schwarz oder weiße Outfits zulegen, da es unmöglich wurde, in bunten T-Shirts das Haus zu verlassen, ohne in massive politische Diskussionen verwickelt zu werden.

Übrigens: Die Wahlzettel sind aus diesem Grund auch sehr bunt, damit sich die nicht-Lesenden darauf zurechtfinden und am richtigen Platz ihren Fingerabdruck hinterlassen können.

Worum ging es inhaltlich im Wahlkampf, was wird sich ändern?

In politischen Entscheidungen wählen viele Sierra Leoner entlang ihrer Stammeslinien und die Benachteiligung gewisser Stämme waren während der letzten Wahlen für manche Politiker das ausschließliche Wahlprogramm. In diesem Wahlkampf gab es jedoch sogar eine inhaltliche Debatte zwischen den Kandidaten, die über Radio und Fernsehen ins ganze Land übertragen wurde. Ich habe sie mir über YouTube angeschaut und zugehört, was die einzelnen Kandidaten zu Frauenrechten, Bildung, Ausbau der Infrastruktur, Importzöllen und großen Bauprojekten zu sagen hatten. Vor allem der Kandidat der neugegründeten National Grand Coalition beeindruckte mich mit plausiblen, durchführbaren Antworten; die anderen Kandidaten mal so, mal so.

Der Einfluss der Chinesen war ein großes Thema während der Debatte, denn die regierende Partei „All People´s Congress“ (APC) steht der asiatischen Wirtschaftsmacht sehr nahe. Die APC habe Sierra Leone an China verkauft, die Regierung sei unterwandert, habe ich in den letzten Jahren immer wieder von Freunden aus unterschiedlichen Kreisen gehört. Es stimmt, dass die jetzige Regierung die meisten Infrastrukturprojekte von chinesischen Firmen hat durchführen lassen, die im Gegenzug Zugang oder sogar Besitzrechte an verschiedensten Minen erhalten haben. Auch an der Strandmeile in Freetown, an der in den letzten Jahren viele neue Restaurants und Hotels emporgeschossen sind, ist vieles in chinesischer Hand; auch den Wahlkampf der APC sollen die Asiaten mitfinanziert haben. Sehr bizarr auch, dass es letzte Woche bei einer öffentlichen Kundgebung vor dem APC-Gebäude zu Sprechchören „We are Chinese!“ kam … Alle Parteien außer der APC gaben an, sich von dieser Bindung lösen zu wollen – ob sie es tatsächlich tun würden oder könnten, bleibt fraglich.

Bis zum nächsten Newsletter
Eure Hanna