Eintauchen in eine andere Welt.
Nach vielen nicht umgesetzten Anläufen habe ich, Beate, Hannas Mutter, mein Vorhaben nach Sierra Leone zu fliegen, endlich umgesetzt und war über Weihnachten und den Jahreswechsel in Freetown. Hanna ist ja seit Oktober vor Ort, so habe ich sie besucht.
Sierra Leonische Herzlichkeit
Sierra leonisch wurde es allerdings schon am Flughafen in Amsterdam, denn Hanna hatte mir einen Reisebegleiter (Paul) organisiert, den ich dort treffen sollte. Leider verpasste er seinen Flug, aber anstelle mich im Ungewissen zu lassen, rief er mich auf meinem Handy an und fragte ob es Sierra Leoner am Gate gäbe. Als ich sagte, dass ich das ja nicht wisse, fragte er, ob ich dunkelhäutige Menschen dort sähe, was ich bejahte. Paul forderte mich auf, jemanden anzusprechen und ihm mein Handy zu geben, er würde dann alles für mich regeln und erklären. Ich war etwas unentschlossen, aber er sehr vehement: „Do it! That´s normal! We are Sierra Leoneans.“ Ich versprach ihm es zu probieren und ihn dann wieder anzurufen. Etwas unschlüssig schaute ich mich am Gate um und entschied mich schließlich für einen Mann, der etwa gleichen Alters wie ich war. Als ich ihm mein Anliegen vorbrachte, war es für ihn, Abdul, völlig in Ordnung mit Paul, meinem eigentlichen Begleiter, zu telefonieren. Und so hatte ich nach dem Telefonat jemanden, der mich durch das Chaos der sierra-leonischen Einreise bis zum Zusammentreffen mit Hanna begleitete. Völlig normal, nicht der Rede wert! Als wir ihn noch einmal während meines Aufenthalts trafen, hat er herzhaft über diese Szene am Flughafen gelacht. Er hatte mein Telefonat und meine Verwirrung schon vorher mitbekommen und sich sehr darüber amüsiert. Das war nicht das einzige erstaunliche Erlebnis auf dieser Reise.
Eine andere Welt!
So viel Gastfreundschaft, Herzlichkeit, Freude und Dankbarkeit habe ich noch nie erlebt, aber auch noch nie solch unfassbare Armut und riesigen Kontraste. Ich hatte gedacht, dass ich gut vorbereitet sei, weil ich durch Hanna ja eigentlich nah dran bin. Aber auf solche Eindrücke kann man sich theoretisch nicht vorbereiten, das muss man erleben.
„Unsere“ Ebolawaisen und die Familien, bei denen sie wohnen zu treffen, darauf hatte ich mich am meisten gefreut. Zu sehen, wie sie leben hat mich zutiefst erschüttert. Und ihre Gastfreundschaft und Freude zu erleben, hat mich total überwältigt. Sie haben es sich nicht nehmen lassen, mich zu beschenken, das hat mich zutiefst beschämt. Wie falsch kommt man sich vor, von Menschen, die so arm sind, Geschenke anzunehmen. Wie deplatziert habe ich mich gefühlt in einem Haus mit Strom, Wasser und Klimaanlage zu wohnen, mit einem Wächter vor dem Haus rund um die Uhr (wobei auch dieses Haus für uns ein Geschenk war). Überall Kontraste wohin man auch schaut, die stärker nicht sein können. Und immer wieder kamen diese Gedanken in mir hoch: „Womit habe ich es verdient so privilegiert zu sein? Wie ungerecht ist diese Welt?! Warum gibt es solche Unterschiede zwischen den Menschen? Warum habe ich so viele Chancen und Möglichkeiten in meinem Leben?“ Und auch diese Gedanken: „Ich will das nicht hinnehmen! Das muss sich ändern! Ich will diese Rolle nicht!“ Aber auch: „Ich bin so hilflos! Was soll ich nur tun? Kann ich überhaupt etwas verändern?“
Einen Menschen wahrnehmen – sein Leben verändern
Und in diese Fragen hinein trafen wir Abdul, der mich so selbstverständlich auf meiner Reise begleitet hatte, und er erzählte uns seine Lebensgeschichte. Er hatte als 8-jähriger auf der Straße in Freetown gelebt. Seine Eltern hatten ihn in die Stadt geschickt, damit er dort zur Schule gehe. Er versuchte an einer Kantine in der Nähe einer Universität immer wieder etwas Essbares abzustauben. Dort traf er wiederholt Jim, einen Engländer, und grüßte ihn stets freundlich. Jim fragte ihn schließlich, ob er kleine Tätigkeiten in seinem Garten übernehmen wolle. Das Geld, das Jim ihm dafür geben wollte, nahm Abdul nicht an, er bat darum, es für seine Schulgebühren aufzuheben. Das und auch die Zuverlässigkeit von Abdul beeindruckten Jim sehr, so dass er nach einer Weile die Schulgebühren für das nächste Schuljahr bezahlte. Als Jim dann irgendwann klar wurde, dass Abdul auf der Straße lebte, lud er ihn ein, bei sich zu wohnen und als er nach ein paar Jahren in Sierra Leone für eine längere Zeit nach England zurück gehen musste, bat er Abdul in seinem Haus wohnen zu bleiben und darauf achtzugeben. Er kam schließlich verheiratet mit seiner Frau nach Freetown zurück und Abdul hatte seine Aufgabe treu erledigt. Als Abdul 17 Jahre alt war, wollten Jim und seine Frau das Land endgültig verlassen. Sie fragte ihn ob er mit ihnen gehen wolle – er wollte es gern. Um das umzusetzen adoptierten sie ihn. Er hat in England studiert, gearbeitet, geheiratet und jetzt geht er als ca. 60-jähriger zurück nach Freetown, so wie Jim es sich immer gewünscht hat, um seinem Land etwas zurückzugeben.
Wünsche und Vorhaben
Auch diese Geschichte hat mich sehr berührt und mich ermutigt, nicht ohnmächtig stehen zu bleiben, sondern etwas zu tun, auch wenn es noch so klein zu sein scheint. Es kann etwas in Gang setzen, etwas bewegen, ein Leben verändern!
Und hier danke ich nun euch, dass ihr es möglich macht, dass in Freetown Menschenleben verändert werden. Gleichzeitig ist mein Tatendrang sehr aktiviert worden noch mehr zu bewegen, den Kindern noch andere Möglichkeiten zu schaffen:
Wir werden nicht all unsere Vorhaben auf einmal umsetzen können – aber ich dieses Land und seine Menschen haben mich sehr berührt.
Meine Frage an euch: Könnt ihr Multiplikatoren werden und diese Ideen weitertragen, etwas in Gang bringen, etwas bewegen und dadurch Leben verändern? Sodass unser unverdientes Privileg nicht nur uns dient, sondern wir es teilen?
So bringe ich sonnige Grüße und wärmende Freude mit nach Deutschland.
Diesmal geschrieben von Beate